Wenn es ums Bauen geht, wird meist über große Zahlen geredet. Mehr als 400.000 Wohnungen sollen in Deutschland entstehen. Mehr als 250 Mio. Euro steckt allein Baden-Württemberg jährlich in die Wohnbauförderung. Rund 40% des weltweit ausgestoßenen CO2 stammen aus dem Bausektor.
Tayfun Tok lud am vergangenen Dienstag (04. Oktober) zum Dialog ins Freiberger Prisma ein. Den Input zur „sozialen Frage unserer Zeit“ lieferten dabei der parlamentarische Staatssekretär im Bundesumweltministerium Christian Kühn MdB, der bei den Grünen als Vordenker der Wohn- und Baupolitik gilt, sowie die Geschäftsführerin der Architektenkammer Baden-Württemberg Carmen Mundorff und ihre Kollegin Sophie Luz, welche die Strategiegruppe "Klima | Energie | Nachhaltigkeit" des Berufsverbands leitet.
Aus den Gesprächen vor Ort berichtet Tok: „Da sind junge Familien, die möchten mit ihren Kindern in größere Wohnungen ziehen oder Eigentum erwerben und können am Markt keine akzeptablen Preise vorfinden – wenn den überhaupt Wohnungen verfügbar sind.“ Die Problematik ist mittlerweile über weite Landesteile bekannt. Dabei stellt die Architektin Luz fest, dass die Bevölkerungszahl seit den 90er Jahren nahezu unverändert blieb. Der Flächenverbrauch pro Kopf stieg jedoch in derselben Zeit stark an. Teilweise sei dies in der familiären Biographie erklärbar. In Häusern, die einst von jungen Familien mit Kindern gebaut wurden, sind diese zur Ausbildung ausgezogen. Die Elterngeneration bleibt im großen Haus. Die Kinder gründen eigene Familien und bauen neu.
Andererseits wurden durch fehlgeleitete Investitionen größere Wohneinheiten geschaffen. In den Ballungszentren wurden im Zuge von Sanierungen oftmals aus zwei kleinen Wohnungen eine große gemacht. Kühn kritisiert diese Entwicklung. Wohnen sei nicht durch Auflagen und Gesetze so teuer geworden, sondern weil die Spekulation in Immobilien zu einem Zuwachs im Luxussegment führte. Dass es auch bezahlbar geht, zeigen heute vor allem die kommunal organisierten Wohnbauträger. „Wir müssen verstehen, dass Wohnen schon immer ein Gemeingut ist“, betont der Staatssekretär, der für eine Stärkung der Kommunen beim Vorkaufsrecht einsteht und dabei auch den Koalitionspartner kritisiert. Die aktuelle Gesetzeslage führt dazu, dass Spekulationen die Grundstückspreise weit über den Ertragswert treiben können, was der Schaffung bezahlbaren Wohnraums entgegensteht.
Mundorff lobt das Klimaschutzgesetz der grüngeführten Landesregierung. Wichtig sei, dass Anreize gesetzt werden, damit sich das nachhaltige Bauen lohnt, ergänzt Luz. Letztendlich sei es wie beim Wochenmarkt: Das klimaschonendste Material ist regional und saisonal. Transporte von Stein und Sand um die halbe Welt sind kontraproduktiv. Insbesondere beim Recycling von Baustoffen passieren momentan spannende Entwicklungen. Künftig wird die Frage sein, welche Baumaterialien CO2 speichern, anstatt bei der Produktion große Mengen davon freizusetzen. Ein positives Beispiel dafür ist Holz.
Zum Ende versuchte Tok eine Vision für die Umgestaltung der Freiberger Ortsmitte zu skizzieren. Dabei darf nie aus den Augen verloren werden, dass für Menschen gebaut wird. Die Quartiere der Zukunft zeichnen sich also durch großzügige Gemeinschafts- und Grünflächen aus. Kurze Wege zum Einkaufen und zur Arbeit führen zu einer Verminderung der Verkehrsproblematik. Kühn gibt jedoch auch zu bedenken, dass Freiberg bei der aktuellen Klimaentwicklung Sommer erleben wird, wie man sie heute aus Mailand oder Rom kennt. Diese Entwicklung und die Anpassung an die Bedingungen muss schon heute bedacht werden.