Pünktlich zum Grünen Sommerhighlight auf der Enzterrasse in Besigheim am vergangenen Samstag (28. Juli) zeigte sich dann auch der Sonnenschein. Gemeinsam mit der europapolitischen Sprecherin der Bundestagsfraktion, Chantal Kopf, und dem Europaabgeordneten Dr. Sergey Lagodinsky gestalteten wir einen spannenden Nachmittag, bei dem es an großen Fragen nicht mangelte. Im Fokus stand nicht weniger als die Zukunft Europas.
Über viele Jahrhunderte galt Europa als Taktgeber der Welt. Innovationen wie der Buchdruck, die Dampfmaschine und später der Liberalismus verbreiteten sich zwischen Seine und Donau und später um die ganze Welt. Auf dem Weltmarkt kam keiner um die europäischen Tüftler und Denkfabriken herum. Auf die gewohnte Rolle der USA als Schutzpatron ist spätestens seit der Ära Trump kein Verlass mehr. Billige Energie steht seit dem russischen Angriffskrieg nicht mehr im Überfluss zur Verfügung. Die Chinesen kopieren nicht mehr nur den europäischen Standard, sondern setzen selbst die Trends auf den Weltmärkten. Das Versprechen von gerecht verteiltem Wohlstand und Innovationskraft durch Aufstiegsperspektiven für Alle bröckelt. Knapp ein Jahr vor der Europawahl ging es daher ums Eingemachte. Welche Rolle muss der alte Kontinent im globalen Machtverhältnis einnehmen? Muss Deutschland mehr Führungsstärke auf europäischer Ebene wagen?
Hat die liberale Demokratie als Gegenmodell zu autoritären Systemen eine Zukunft?
Der grüne Landtagsabgeordnete Tayfun Tok ruft auch angesichts der jüngsten Sonntags-Trendumfragen auf, den Menschen reinen Wein einzuschenken.
Das europäische Wohlstandsmodell müsse so angepasst werden, dass es in die heutige Zeit passt. Veränderungen zu leugnen, hilft nicht weiter. Vielmehr müsse der Staat zeigen, dass er in der Lage ist, Probleme lösungsorientiert anzugehen. „Am Ende ist unsere Ressource die Innovationskraft. Damit punkten wir und darin sind wir international immer noch spitze“, ist der Wirtschaftspolitiker überzeugt. Lagodinsky hält wenig von halbgaren Abgrenzungsversuchen gegenüber rechtspopulistischer Parteien. „Die Zeit müssen wir sinnvoller investieren“, betont der Europaabgeordnete, der seine Heimat in Brandenburg hat, „und zwar in gute Politik, die auch ankommt.“
In weiten Teilen der Bevölkerung scheint das Vertrauen in die europäischen Institutionen erodiert zu sein. Hinzu kommen Zweifel an der Überzeugung, dass Demokratie und Wohlstand langfristig zusammenhängen. Kopf gibt jedoch zu bedenken, dass die EU für die Staaten Europas ein internationaler Überlebensgarant darstellt. „Wenn wir zusammenarbeiten, treten wir stark auf und sichern unsere Souveränität.“ Gerade in Bezug auf die Seidenstraßeninitiative des staatskommunistisch geführten Chinas braucht es eine europäische Alternative, die neben dem größten Binnenmarkt der Welt auch Anrainern und anderen Staaten die Hand der wirtschaftlichen Zusammenarbeit reicht. Dies gelte in der wirtschaftlichen Unabhängigkeit ebenso wie bei sicherheitspolitischen Fragen. Allerdings muss dazu auch klar sein, dass das System Europa funktioniert. „Deshalb müssen wir weg von den nationalen Vetos und hin zu qualitativen Mehrheitsentscheidungen. Auch wenn das im Einzelfall mal gegen uns gehen kann“, so Kopf. Wichtig sei es auch, die Institutionen vor der Aushöhlung zu bewahren, betont Lagodinsky. Die Frage, wie robust die westlichen Demokratien wirklich sind, wird sich erst noch zeigen müssen. Einig ist man sich, dass Haushaltsmittel der EU klar an rechtsstaatliche Voraussetzungen geknüpft werden müssen. Hier hat man auch erste Erfolge erzielt.
Rechtsstaatlichkeit und Freiheit sind die DNA Europas.
Die Wählerinnen und Wähler ruft Lagodinsky daher auch dazu auf, bei der Europawahl jene Parteien zu unterstützen, die bereit sind, sich Konfrontationen mit Staaten zu stellen, die wichtige Grundsätze mit Füßen treten. Die Grünen haben auch schon in den vergangenen Monaten bewiesen, dass sie in der Lage sind, harte Gewissenskonflikte auszuhalten, wenn es der Sache dient. Kopf betont, wie wichtig es war und ist, die Ukraine als Partner Europas auch weiterhin militärisch wie wirtschaftlich zu unterstützen. Der Angriffskrieg Russlands hat möglicherweise tragisch untermauert, warum ein geeintes Europa mit seiner noch jungen Geschichte unverzichtbar ist: Um die Freiheit zu schützen. Dieses Thema möchte Lagodinsky im kommenden Wahlkampf besonders stark betonen. Denn um weniger geht es geht nicht.